Rechtsanwälte GRÄNING & KOLLEGEN

Haftung trotz Vorfahrt

Veröffentlicht am 20.01.2016

Das Recht zur Vorfahrt ist kein Freifahrtschein. Wird eine mögliche Verletzung der Vorfahrt erkennbar, muss der Vorfahrtberechtigte adäquat reagieren, so ein Urteil des Oberlandesgerichts München vom 21.12.2012 (Aktenzeichen 10 U 2595/12). Hätte eine Kollision vermieden werden können, trägt auch der Vorfahrtberechtigte eine Mithaftung.

Autofahrerin missachtet Vorfahrt und haftet trotzdem nicht voll

Im vorliegenden Fall hatte eine Autofahrerin einem Motorradfahrer die Vorfahrt genommen. Das bei der Kollision erheblich beschädigte Krad kam zwar von links, fuhr aber auf einer vorfahrtberechtigten Hauptstraße. Beide Unfallbeteiligten sind ortskundig und wussten um die schlechten Sichtverhältnisse an dieser Straßeneinmündung.

Kollision wäre durch maßvolles Bremsen des vorfahrtberechtigten Motorrads zu vermeiden gewesen

Der Kradfahrer hatte kurz zuvor am Ortsschild die Geschwindigkeit von vorher 60 km/h reduziert, war aber, als die Pkw-Fahrerin einbog, noch mindestens 29 m entfernt. Hätte er – so die Feststellung des vom Gericht bestellten Gutachters – mit einer Bremsverzögerung von 6 m/s² gebremst, wäre er ohne Sturzgefahr nach 27 m zum Anhalten gekommen, wodurch der Zusammenstoß offenbar vermieden worden wäre.

Vertrauensgrundsatz des Vorfahrtsberechtigten

Zwar gilt im Straßenverkehr der sogenannte Vertrauensgrundsatz, nach dem sich ein vorfahrtsberechtigter Verkehrsteilnehmer grundsätzlich darauf verlassen darf, dass andere Verkehrsteilnehmer sein Vorfahrtsrecht beachten. „Allerdings hätte der Kradfahrer in diesem Fall, wo er den Pkw aus der untergeordneten Straße herausfahren sah, adäquat reagieren und vorsorglich bremsen müssen – obwohl oder gerade weil er nicht wusste, ob das Auto, wenn die Fahrerin ihn wahrnimmt, weiterfährt oder stehen bleibt“, erklärt Rechtsanwalt Jörg-Matthias Bauer laut einer Mitteilung der Deutschen Anwaltshotline.

Weil also die Kollision durch maßvolles Bremsen des vorfahrtberechtigten Fahrzeugs hätte vermieden werden können, hielten die Münchener Richter eine Haftungsverteilung von 70:30 zu Lasten der ihre Wartepflicht verletzenden Pkw-Fahrerin für angemessen, die damit immerhin noch 5.216,14 Euro plus Zinsen an den Motorradfahrer zu zahlen hat.

Quelle: Deutsche Anwaltshotline
aus: Rechtsindex – Recht & Urteile

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